Jahresausstellung 2024
— Impressionen —

Die im Künstlerhaus zu sehenden Kunstwerke lassen eine vielschichtige Herangehensweise und Interpretation zu, das bedeutet für die Besucher:innen einen spannenden Rundgang entlang der vielseitigen Arbeiten der ausstellenden Künstler:innen des BBK Südniedersachsen!

Teilnehmer/innen:
Helmut Boeder, Diers Hilke, Marcos Durand, Charlotte Geister, Nea Grote, Sabine Harton, Georg Hoppenstedt, Christel Irmscher, Gudrun Jockers, Diana Janecke, Erhard Joseph, Sigrid Kindel, Ingrid Krieser-Demuth, Leena Krüger, Folke Lindenblatt, Gabriele Schaffartzik, Erhart Schröter, Carlos Schulze-Nowak, Gregory Seán Sheehan, Lilly Stehling, Tamara Wahby, Matthias Walliser, Kurt Weber, Fintan Whelan.




Ein Kurzfilm von Matthias Walliser"



Einführungsrede
Einmal im Jahr präsentieren wir Künstlerinnen und Künstler des BBK Südniedersachsen im Künstlerhaus Göttingen aktuelle Arbeiten in unserer Jahresausstellung. In diesem Jahr haben wir mit dem Titel „toxisch“ ein Thema gewählt, das die gegenwärtige gesellschaftliche Stimmungslage von Gefährdung und Bedrohung wiedergibt.

Der Begriff „toxisch“, löst in uns eine unmittelbare Betroffenheit aus, er ruft Ängste und Befürchtungen auf, die auch auf ganz persönlichen Erfahrungen beruhen können. Grundsätzlich ist die Kunst nicht in der Lage, die Schrecken und Gefährdungen unserer Lebenswelt, sei es Krieg, Krankheit oder anderes, adäquat wiederzugeben, da ist die Wirklichkeit nicht zu übertreffen. Selbst Picassos berühmtes Anti-Kriegs-Bild „Guernica“ hat das nicht vermocht. Die Kunst vermag aber Metaphern zu schaffen, in denen derartige Erlebnisse transformiert werden, um Reflexionen zu ermöglichen, durch die Probleme verarbeitet werden können und damit dazu aufgerufen wird, solche Problematiken zu verhindern. In der Kunst wird im Prinzip „sinn-bildlich“ gearbeitet. Ein Phänomen, ein „Erscheinungsbild“, kann dabei eine übergeordnete Bedeutung erhalten und als Metapher zum Nachdenken auffordern.

In unserer Ausstellung kann man eine Vielzahl von solchen „Sinnbildern“ finden, die aus den subjektiven Aspekten und Auseinandersetzungen der beteiligten Künstlerinnen und Künstler zu diesem Thema entstanden sind. Dabei sind gerade die jeweiligen stilistischen Eigenarten von Bedeutung. So finden sich naturalistische Gestaltungsauffassungen neben grotesker Übersteigerung, wie auch gesellschaftspolitische Aussagen. Es sind aber auch viele abstrakte Arbeiten dabei, die gerade in ihrer Form- und Farbgestaltung beeindruckende Bedeutungszusammenhänge aufzutun vermögen.
So entstand durch die unterschiedlichen individuellen Ausdrucksformen eine lebendige Ausstellung, die differenzierende Betrachtungsweisen zu einem beunruhigenden Thema ermöglicht.



Deutlich naturalistisch ist die Arbeit von Gabriele Schaffartzik angelegt. Sie greift dabei auf ein Familienfoto aus der Zeit des 2. Weltkriegs zurück, 1943 finden sich nur die Frauen aus der Familie zu einem Foto zusammen, die Männer sind im Krieg. Die bedrohliche Situation steigert sie durch die Gestaltung von Himmel und Erde in dunkel-roter Farbgebung und einer Komposition, in der die Menschengruppe wie verloren dasteht. So wird aus der Wiedergabe eines Familienbildes eine Metapher über die Auswirkung von Krieg und Gewalt auf unsere Gesellschaft.


In Folke Lindenblatts großformatigem Bild sind wiedererkennbare Gegenständlichkeiten, wie die Häuserzeile in der Mitte des Bildes mit Farbverläufen kombiniert, die zu erschreckender Giftigkeit in der Gesamtwirkung kulminieren. Ein Gefühl der Beunruhigung wird in diesem Bild erzeugt, das sich durch die Prozession von Fischschwärmen in Form von Skeletten in der unteren Bildhälfte, der Wasserzone verdeutlicht. Eine dunkle senkrechte Strömung in der Mitte des Bildes lässt uns vermuten, dass die tödliche Ursache dieser Katastrophe aus der oberen Zone stammt, in der sich die Welt der Menschen ausgebreitet hat. Eine düstere Metapher von den furchtbaren, lebensfeindlichen Auswirkungen unserer ungezügelten, rücksichtslosen Zivilisation.


Obwohl Marcos Durand aus einem anderen, von unserem weit entfernten Kulturkreis kommt, hat er sich mit dem Struwelpeter eine Bezugsfigur ausgewählt, die bei uns zu einer der berühmtesten Figuren der Kinderliteratur gehört, ein Symbol der Auflehnung gegen Regeln und Ordnung, eigentlich gegen Mitte des 19. Jhdts. als Abschreckung gedacht für die Kinder der besseren, zivilisierten Schicht der Bevölkerung, für die sein Ungehorsam als gefährlich , quasi „toxisch“ dargestellt wurde. Bei Marcos Durand wird der Struwelpeter uminterpretiert zu einem positiven Helden mit magischen Kräften, der mit seinen überlangen Fingernägeln Kontakt zur mystischen Welt hält.


Kurt Weber hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem profilierten Satiriker entwickelt, der mit spitzem Bleistift politische Missstände aufspießt und das Verhalten der Akteure, zum Beispiel von Putin, geißelt. Neben den beiden Karikaturen hat er eine Plastik aus Briketts aufgeschichtet, eine Art Denkmal für diesen fossilen Brennstoff, der inzwischen als toxisch für unser Klima entlarvt und gebranntmarkt worden ist.


In einer Photographischen Arbeit von blühenden Pflanzen, die sie in ihrer speziellen Technik mit einem Scanner aufgenommen hat, zeigt Tamara Wahby Natur von absoluter Schönheit, die sich aber in diesem Fall gerade auch durch ihre Giftigkeit auszeichnet.


Direkt daneben hängt ein beeindruckendes Farbgebilde aus ineinander fließenden Farben, die Fintan Whelan durch Bewegungen der Leinwand, auf die er die Farben gegossen hatte, zu aufregenden Farbverbindungen zu bringen versucht. Aber dieses Ringen um Schönheit ist immer der Konfrontation mit der Gegenbewegung ausgeliefert und dem Risiko, dass sich die Farben zu einem unschönen Gemisch verbinden.


Von Gregory Sheehan sehen wir ein Werk, das aus dem Grundmaterial seiner Kunst gefertigt wurde, aus Hochmoortorf, der bei ihm symbolisch für die Urkraft der Natur steht. Diese Arbeit wurde bestückt mit vielen kleinen Miniaturnachbildungen von gelben Fässern, in denen wir das Giftigste lagern, was es auf dieser Welt gibt: Atommüll. In der Realität für Jahrtausende tödlich strahlend, in Fässern gelagert, die bereits zu rosten beginnen.


Daneben eine Arbeit von Lilly Stehling, die in ihrer grellroten Farbigkeit unmittelbar die Angst vor einer hochgiftigen Säure schürt, die auf uns zuzufließen scheint.
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